Tyrm Welf
Plündernde Ungarn, die Christianisierung der fränkischen
Reiche, Stammesfehden zwischen einzelnen Sippen und die
Furcht vor Hunger und Krankheit beherrschen das Land. In diese
Zeit wurde ich, Tyrm Welf, Sohn des Volker, hineingeboren.
Wann vermag ich Euch nicht zu sagen, doch meine Mutter sagte
mir, es sei das Ende des Sommers gewesen. Meine Familie
stammt nur zum Teil aus Engern, die Wurzeln meines Vaters,
Volker, Sohn des Rudi, liegen wohl bei den Nordalbingern, einem
stoischen Küstenstamm der Sachsen. Im Zuge der
Zwangsumsiedlungen jedoch, nachdem Karl der Schlächter
unseren Herzog Widukind besiegt hatte, kam dieser Teil meiner
Familie hierher. Meine Mutter, Margret Dotja Helga stammt von
hier, aus dem Tal des Saaleflusses. Vor fünfzig Jahren jedoch
änderte sich einiges hier. Es heißt, dass Männer kamen, die
unsere heiligen Stätten entweihten und unsere Götterbilder verbrannten! Wir sollten zu
einem Gott namens... Nunja, Gott, beten, und nichtmehr zu Wuotan, Donar, Saxnot und
Frea, denn dafür würden wir nach Hel kommen. Ein Teil meiner Sippe sah dies nicht ein,
und musste fliehen.
Also siedelte sich meine Sippe vor vielen Jahren auf der Bergkuppe südlich des alten
Dorfes an. Hier lebten wir in den natürlichen Höhlen des Massivs und in kleinen, gut
versteckten, Hütten am Fuß des schlafenden Riesen. Wir lebten von dem, was uns der
Wald und unsere Schweine, Langhornrinder und Ziegen gaben. Ich jagte, mit meinem
Vater zusammen, Hirsche, Rehe, Auerhühner und Schwarzkittel, wir stellten Wolf, Bär und
Luchs nach, wenn sie sich an unser Vieh wagten. Meine Mutter war eine Kräuterfrau, von
ihr lernte ich viel über den Wald und dessen Nutzen, mein Vater war Zimmermann - Ja, ich
bin der Sohn eines Zimmermanns, habt Ihr ein Problem damit?! -, er brachte mir bei, wie
man aus Holz allerlei nützliche Dinge herstellt. Wir waren Sachsen. Der Legende nach,
die mir unser Gode einst erzählte, kommt unser Name von unserer Waffe, dem Sax. Das
heißt, wir sind Krieger. Viele von uns hatten das nördliche Frankenreich vor mehr als
dreihundert Jahren verlassen, um, den Helden Hengist und Horsa folgend, auf einer Insel
ihr Glück zu machen. Wir waren geblieben. Wir, die wir von Karl dem Schlächter 'besiegt'
worden waren. Besiegt... Unser großer Herzog Widukind wollte einfach das Leid seines
Volkes beenden! Nun sind die meisten Sachsen Teil des Frankenreichs, doch nicht wir.
Wir beten nach wie vor zu unseren alten Göttern, wir weigerten uns dagegen vor
irgendeinem Franken auf die Knie zu fallen.
Es war am Ostarafest, ich war nun kein Kind mehr. Da wollten wir am Altar ein Opfer
darbringen, als wir es sahen: Die Dorfbewohner aus dem Tal hatten unsere heilige Stätte
niedergebrannt! Es war genug. Wir hatten immer nur unseren Groll hinuntergeschluckt,
doch nun würde die Zeit kommen, in denen wir ihnen zeigen, was ein echter Sachse ist.
Ich nahm meinen Bogen und meine Axt, doch mein Vater hielt mich auf. Er sagte, dass die
Krieger im Dorf nur den Tod finden würden, ich soll hierbleiben und unsere Heimstatt
verteidigen. Murrend blieb ich. Doch mein Vater sollte Recht behalten. Gerade nämlich,
als unsere Krieger auf das Dorf zukamen, forderte dort der Lehnsherr den Zehnt der
Kirche und das, was ihm zustand ein. Zwanzig Männer, Handwerker, Bauern, Viehzüchter,
sahen sich nun vierzig fränkischen und lothringischen Mietlingen gegenüber, gehüllt in
Kettenhemden, mit Schilden
und Schwertern gerüstet. Als unsere Männer niedergemetzelt waren gab der Lehnsherr
den Befehl unser Dorf ausfindig zu machen und niederzubrennen. Wenige andere außer
mir konnten fliehen, meiner Familie jedoch gelang ebenfalls die Flucht.
Wir wurden versprengt, doch ich kannte den Wald, meine Häscher nicht. Sie wollten mein
Blut sehen, dafür, dass mein Stamm und ich ihnen über Jahre hinweg Kühe und Ziegen
gestohlen hatten, dafür, dass ich sogar einmal den Zuchtbullen des Dorfes mit einem Pfeil
erlegt hatte. Ich rannte so schnell ich konnte gen Westen, zum Fluss Laginga, denn dort,
so hörte ich, sollte es Seefahrer geben. Ich musste fort aus meiner Heimat, das war klar.
Ich war einen Tag unterwegs gewesen, doch meine Häscher waren schneller als ich
dachte. Es mussten Fährtensucher unter ihnen gewesen sein. Dann unterlief mir ein
schrecklicher Fehler. Ich verpasste die Furt über den Fluss Laginga und stand nun vor
dem Ufer des breiten Stroms. Ich saß in der Falle. Ich legte einen Pfeil auf die Sehne
meines Bogens.
'Ich werde es ihnen so schwer machen, wie ich kann...', dachte ich mir nur immerwieder,
bereit dazu in den Saal Wuotans einzuziehen, wo mich meine Ahnen erwarten würden.
Dann kamen sie, es waren sechs gerüstete, gegen einen Einzelnen. Mein Pfeil verfing sich
im Kettengeflecht der Rüstung des Ersten, der Zweite wehrte meinen Axthieb mit
spöttischer Leichtigkeit ab, ich setze nach, meine Axt glitt von seinem Helm ab, fuhr ihm
jedoch in den Ausschnitt seines Kettenhemds. Ich hatte sie wütend gemacht. Doch dann
stießen mit einem lauten Kriegsschrei Fremde hinzu. Es waren Nordmänner, wie ich an
ihrer Kleidung und ihren Waffen erkannte. So mussten diese berühmten Krieger und
berüchtigten Räuber aussehen. Nun doch von Furcht gepackt liefen die Franken um ihr
dreckiges Leben, nur einer blieb liegen.
Ich führe heute die Franziska dieses Mannes.
Die Krieger, so sagten sie mir in gebrochenem Sächsisch, seien von der Sippe der
Laginga. Sie führten mich in ihr Dorf, wo ich dem Jarl Hardad Hardadsson vorgestellt
wurde. Er fragte mich, wer ich sei, und was ich hier wollte. Ich erzählte ihm alles, was
geschehen war.
Aus Dankbarkeit für meine Rettung habe ich mich nun dieser Sippe angeschlossen, sie
sind meine neue
Heimat, sie sind mein Obdach.
Mögen die Götter uns beschützen!